Warum ich die Selbstverpflichtung gefährlich finde

Gesten haben ein paar Piraten mit Blick auf die bevorstehende AV eine Selbstverpflichtungs-Erklärung ins Wiki gestellt.

Ich war gestern abend sehr aufgebracht. Nachdem ich eine Nacht drüber geschlafen habe, bin ich immer noch aufgebracht, aber in der Lage zu erklären, warum.

Ich befürchte folgendes Szenario:

Schritt 1: Selbstverpflichtung

Wir stellen eine Liste ins Wiki. Da kann sich ja eintragen, wer mag.
Los.
Ist ganz freiwillig 🙂

 

 

Schritt 2: “Druck aufbauen“

Sofort heisst es, die Aktion sei da, um Druck aufzubauen.

Na, nun mach schon:

Innerhalb wenige Stunden werden Nichtunterzeichner implizit als Weicheier bezeichnet.

Aber nee, klar. Ist total freiwillig.

Es baut sich also soviel Druck auf die Nichtunterzeichner auf, dass sie plötzlich unter Rechtfertigungszwang stehen.

Und dann unterschreibt man eben. Ist leichter, als zu erklären, warum man nicht unterschrieben hat. Kann ja auch später keine überprüfen, ob man auch dran gehalten hat. Geheime Wahl, und so.

Schritt 3: OMG, $anzahl Piraten hat unterschrieben \o/

Plötzlich stehen also 93.538 Piraten auf der Liste. Juhu! Wir schicken Frauen in den Bundestag!
Und wir brauchen auch keine Quote mehr! Yay!
Und wir brauchen auch keine Ursachenforschung mehr betreiben. Ist doch alles takko. Ham ja alle unterschrieben.

Schritt 4: Wählen

Derselbe LV, der sich zu Postgender bekannt hatte und trotzdem einen rein männlichen LaVo gewählt hat, wählt dann eine Liste.
Kein Problem, sind ja alle selbstverpflichtet.
Und mit Pech haben wir uns so sehr einlullen lassen, dass wir keine anderen Vorkehrungen getroffen haben.
Wahrscheinlich haben wir zu Beginn der AV ein paar Verfechter von Quoten und anderen Massnahmen weggelacht. Was soll das denn auch? Es haben sich doch drölfizighundert Piraten verpflichtet, nur Frauen auf die ersten Plätze zu wählen.

Schritt 5: Penen im Überfluss im Bundestag

 


 

Versteht mich nicht falsch: ich traue den Eltern der SV sehr wohl zu, dass sie das ernst meinen und das tatsächlich durchziehen.
Aber die Sache fängt jetzt schon an, eine Eigendynamik zu entwickeln.
Es bringt hier *gar* nichts, Druck aufzubauen. Wenn Leute nur aus Pflichtbewusstsein unterschreiben, ohne von der Sache überzeugt zu sein, schiessen wir uns mit der Aktion mehrfach in den Fuss.
Wir wiegen uns in Sicherheit.
Wir kriegen einen verschobenen Eindruck vom zurkünftigen Wahlverhalten des LV.
Wir nehmen Verfechtern anderer Ansätz die Legitimität ihrer Arbeit.

Comments: 4

  1. Ursula Bub-Hielscher 12. November 2012 at 11:02 Reply

    Liebe Daniela,
    ich bin ein bisschen erschüttert, dass du tatsächlich meinst, die Pirat*innen ließen sich von ein paar etwas rüden, flapsigen Rufen, die den Autoren als Person entsprechen, zu etwas zwingen, unter Druck setzen. Das wird, so wie ich das sehe keine Riesenaktion – es ist einer von hoffentlich vielen unterschiedlichen Versuchen das Thema Frauen in der, in die Politik ein kleines Stück voran zu bringen. Erschrocken bin ich auch, dass die Argumente der Gegner sich mit denen der 70er so entsetzlich gleichen. Damals habe ich jedoch gelernt, dass es wichtig ist auch für Unpopuläres hin zustehen und insofern macht mir das vielleicht weniger Angst. Ich werde jedenfalls wo immer es möglich ist engagierte junge Frauen auf ihrem Weg in die Verantwortung unterstützen und das sehe ich bei dir ja auch. Das heißt für mich übrigens gar nicht und hieß es nie, dass ich nicht mit Männern kooperiere und diese auch unterstütze, sofern sie Frauen respektieren und auf Augenhöhe behandeln.
    Liebe Grüße
    Ursula@alusruh

    • DanielaKayB 12. November 2012 at 11:11 Reply

      Ich stimme mit Dir überein, dass etwas passieren muss, aber ich finde aus den Gründen oben, dass die SV nicht nur keine Lösung ist, sondern der Sache schlimmstenfalls schadet.

      Ich bin sehr dafür, dass wir innerhalb unseres kleinen Biotops nachhaltige Veränderungen durchführen. Wir haben ja in der PG Frauenwahlrecht schon Möglichkeiten ausgelotet, den innerparteilichen Sexismus zu hacken.

      Aber diese SV hilft IMHO nicht.

  2. Michael Haufe 12. November 2012 at 12:36 Reply

    Sehr richtig! (falls ich das mal so machomäßig sagen darf^^)

    Danielas Analyse dieser Art von SelbstVerpflichtung zeigt gleich mehrere Probleme auf.

    1. Das eigentliche Anliegen, nämlich FrauenStimmen, -Themen und -Kompetenzen in der Politik zu stärken, wird konterkariert. Am Ende handelt es sich nur noch um WortHülsen, LippenBekenntnisse und Heuchelei.
    2. ‚SelbstDisziplinierungsDruck‘ ist etwas anderes als ‚Echtes Wollen‘.

    Die PiratenPartei ist mehrheitlich w i l l e n t l i c h für moderne geschlechterneutrale Politik – da brauch ich mir jedenfalls mir keine Sorgen zu machen.

    Mit anderen Worten: Die Piraten wollen Frauen in verantwortungsreichen Positionen haben – dennoch sollten diese Positionen demokratisch… und eben nicht nach GeschlechtsStatus besetzt werden.

    Außerdem sollten auch jene Frauen in ihrer Stimme respektiert werden, welche Männer wählen.

    Noch eine Anmerkung:
    Angesichts der viefältigen, dringenden Themen, welche die Piraten ‚beackern‘, nimmt die GeschlechterFrage mittlerweise eine Quantität in Anspruch, dass man schon manchmal an ‚Trollerei‘ denken mag (oder wie es, weiß der Geier, neudeutsch genannt wird).
    Ihr könnt Euch weiter darin vertiefen… okay. Aber was hat das für einen Sinn, wenn dadurch die Piraten ständig an politischem Gewicht verlieren, (eben weil andere Themen vernachlässigt werden)? Mir jedenfalls kommt es so vor, als würde mit dieser anhaltenden Diskussion eher Lähmung erreicht… als Fortschritt.
    Und Ja, das Thema ist wichtig. Doch warum werden ständig neue Initiativen irgendwo aus dem Hut gezaubert, wo es doch schon sehr intensive arbeitende Gremien und Gruppen gibt, welche sich genau damit konkret beschäftigen?

  3. jemand 12. November 2012 at 14:54 Reply

    Also das die Sache mit der Landesvorstandswahl angesprochen wird, ist schon verdammt seltsam. Da hat jeder Mensch (aus der Partei) die Möglichkeit, sich zur Wahl zu stellen. Es macht im Vorfeld genau 1 Frau. Spontan vor Ort springt noch eine zweite Frau ein, wobei dieser Mensch die Partei nicht kennt und als einziges „Argument“ das Wort „Quote“ in den Raum stellt. Inhaltlich? Nichts. Organisatorisch? Nichts. Wissen um die Partei? Nichts. – Die augezeichneten Streams mit den Vorstellungen sind ja ins Netz befreit…
    Bleibt also 1 weiblicher Mensch, die dummerweise in der Fragestunde bloßgestellt wurde und zwar mit einem Vorwurf, an den Haaren herbeigezogen wurde. Einen solchen Angriff unter der Gürtellinie war nicht zu erwarten und da hätte jeder Mensch blöd ausgesehen. Wer die Kandidatenaufstellung in Brandenburg verfolgt hat, hat ein ähnliches Schauspiel, dort ausgelöst vom Pressesprecher der Landtagsfraktion in S-H, bei einem Menschen männlichen Geschlechts erlebt.

    Das die Frau in Berlin dann nicht mehr in den anderen Wahlgängen angetreten ist, obwohl sie von einigen Männern und Frauen und Eichhörnchen gebeten/aufgefordert wurde, ist da schon verständlich. Und um es klar zu sagen: Die Art der Fragestellung und die Frage wurde von keiner Person in der Universal Hall kritisiert. Auch von keiner Frau! Bis heute!

    Wir haben also 1x keine Ahnung+keine Argument und 1x kritiklos fertig gemacht und nicht genug Stimmen. Da stellt sich doch die Frage, ob es in Berlin nur 2 Frauen gibt?!? Aus meiner Beobachtung bleibt da nur 1 Schluss: Nope.

    Stattdessen gibt bzw. gab es genug Frauen, die aus wahltaktischen Gründen nicht antreten wollten, weil nur die Bundestagsliste in Betracht kam. Ein paar wenige haben das vorher gesagt, eine gewisse Anzahl wird noch dazu kommen.

    Aber jetzt den gewählten vorzuwerfen, dass sie sich aufgestellt haben – und das passiert beim Vergleich mit der Wahl zum LaVo – ist schon ziemlich grotesk.

    Spannend wird auch der Vergleich dieser Menschen, die jetzt mit ihrem Klick-Aktivismus, ihren „Schwerter“listen, ihren spontanen Medienauftritten mit der Bewerberliste. Gibts schon Wettbüros, wo man seine hellseerischen Fähigkeiten versilbern kann? Die Blogposts dazu könnten aber jetzt schon geschrieben werden. Oder der Vergleich derjenigen, die jetzt schon finanziell von Fraktion(en) bezahlt werden (und wie die Stellen ausgeschrieben wurden – oder eben nicht) und die dann auf der Liste stehen. Machen wir uns nichts vor, der finanzielle Aufwand im Vorfeld der Wahl wird groß sein. Ein „wohlwollender“ Arbeitgeber, der 2, 3 oder 4 Tausend Euro im Monat springen lässt, ermöglicht da diverse Vorteile.
    Und es gäbe da noch ein paar interessante weitere Vergleichsmöglichkeiten. Gerade im Beziehungssektor sind offene Geheimnisse schon sehr interessant.

    Wobei viel spannender ist, dass dieses Thema nur im Vorfeld von „Wahlen“ plötzlich wichtig ist, den Rest der Zeit aber vor sich hin dümpelt. Auch welchen Gruppen der (behauptete) strukturelle Nachteil genommen werden soll und bei welchen das nicht passieren soll. Wenn bundesweit bekannte Mitglieder plötzlich anderen Parteimitgliedern den Austriit „nahelegen“, weil diese auch andere Gruppen benachteiligt sehen und das angesprochen(!) haben. – Und nebenbei noch niemand sagen konnte, warum nur diese 1 unterrepräsentierte Gruppe (von 100 oder 1000 verschiedenen) per sozialem Druck explizit gefördert werden soll.

    Ja, es ist immer wieder lustig, was diese Partei macht. Statt an Themen zu arbeiten, zielen einige auf die ganz eigenen Vorteile und verpacken das in „Selbstverpflichtungen“.

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