Hi, Antje
ich möchte gerne Deine Fragen beantworten, und hoffe, dass Dir das in Deiner Recherche weiterhilft.
Bezeichnet ihr euch aktiv als “Atheist_in”? Bei welchen Gelegenheiten?
Wenn Du mich fragen würdest, was bei mir religionstechnisch so geht, würde ich antworten „ich bin Atheist“.
In meinem Leben findet Gott nicht statt. Nicht der christliche Gott, nicht Allah oder Jahwe, keiner der anderen Götter, die die Menschheit sonst so kennt/kannte.
Damit bin ich ohne Gott, also a-theistisch.
Kann ich wissenschaftliche Beweise über die Extistenz irgendeines Gottes vorbringen?
Nein.
Ich kann weder beweisen, dass Götter existieren, noch dass sie nicht existieren.
Macht mich das eher zum Agnostiker?
Vielleicht.
Ich möchte Dich trotzdem ermutigen, diesen Post zu lesen, weil ich glaube, dass ein Großteil der Atheisten wie ich sind: ein Gott ergibt für sie keinen Sinn, aber sie wissen, dass sie es nie beweisen könnten.
Und dann kommt dazu, dass es mir ehrlich gesagt herzlich *egal* ist, warum ich nicht an Götter glaube. Die Frage nach der Existenz von Göttern nimmt in meinem Leben Null Raum ein, es sei denn, jemand fragt mich 🙂
Würde ich mich *aktiv* als Atheist bezeichnen? Meinst Du damit, ob ich auf Leute zugehen würde und sagen würde „Hallo, ich bin Daniela, und ich bin Atheist“?
Nein, weil mein Atheist-Sein in meinem Alltag genauso wenig eine Rolle spielt wie die ganze Gott-Sache.
Wie seid ihr zum Atheismus gekommen?
Ich bin in einer kleinen Stadt in Norddeutschland aufgewachsen und somit evangelisch getauft.
Ich hab das volle Programm mitgemacht: Kindergottesdienst (allein, aus eigenem Antrieb), Kinder- und Jugendfreizeiten (auch als Betreuer), Konfirmation.
Das Problem war nur, dass ich alles, was mir dort begegnet ist, zwar intellektuell verstanden habe, aber ich habe es nie *gefühlt*.
Die Leute haben zum Beispiel gesagt „Jesus ist für unsere Sünden gestorben“ und ich sah, wie sie Kraft aus diesem Wissen schöpften.
Und ich habe in mich hineingehorcht, und diese Worte haben in mir keine Saite zum klingen gebracht, wenn Du weisst, was ich meine.
Nach der Kornfirmation habe ich die Sache für mich abgehakt, und es aufgegeben.
Von da an habe ich ohne Gott gelebt.
Vor ein paar Jahren habe ich mich mit dem Buddhismus beschäftigt, und bin in dem Zusammenhang aus der Kirche ausgetreten, und bezeichne mich seitdem „offiziell“ als Atheist.
Sind die Leute in eurem Bekannten-/Freund_innenkreis auch überwiegend atheistisch? Ist das ein Thema im privaten Kontakt?
Ich habe keine Ahnung, ich rede mit meinen Freunden nicht über privat gelebte Religion, höchstens über Religion, soweit sie zB als Ereignis in den Nachrichten auftaucht.
Welche Rolle spielt bei eurem “Bekenntnis” zum Atheismus die Ablehnung bzw. die Kritik an den “real existierenden” Religionen?
Bekenntnis ist IMHO das falsche Wort, aber das sehen wir weiter unten.
Ich lehne Religion nicht per se ab. Wenn Du an Gott glaubst, Dir das Kraft gibt, und Du mich damit nicht beeinträchtigst, wünsche ich Dir damit von Herzen alles Gute.
Ich werde nur dann krabbig, wenn mir Religion / religiöse Leute auf die Füsse treten oder anderen schaden.
Wenn mir jemand vorwirft, ich wäre ein zutiefst unmoralisches Wesen, weil ja alle Moral von Gott kommt, hat er eine hitzige Diskussion am Hals.
Versucht jemand, Kreationismus an die Schulen zu bringen, zu denen ich irgendwann meine Kinder schicken werde? Nur über meine rapide erkaltende Leiche.
Und lass uns nicht von den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche anfangen, sonst komm‘ ich nie zum Ende.
Würdet Ihr sagen, dass Ihr anstelle von “Gott” an etwas anderes “glaubt”? Woran?
Das ist eine Frage, die mir relativ oft gestellt wird, und ich glaube, ich verstehe, wo sie herkommt 🙂
Stell Dir vor, Dein Leben ist ein Bücherregal, und alles, was in Deinem Leben relevant ist, steht als Buch dadrin.
Es gibt also in Deinem Regal auch Bücher über Gott, und über Religion, und über Gebete.
Wen *Du* nun Atheist werden würdest, würdest Du alle Bücher über Gott aus dem Regal herausnehmen. Dann wird natürlich Platz in Deinem Regal, und die Frage liegt nahe, was man da anstatt der religiösen Bücher reinstellen könnte
Bei mir liegt die Sache anders. Mein Regal war schon voll, und ich habe als Kind und als Jugendliche versucht, eine Bibel zwischen die anderen Bücher zu quetschen. Für mich heisst Atheist zu sein, aufzuhören, einen Gott in ein Leben quetschen zu wollen, in dem es für ihn keinen Platz gibt.
Oder haltet Ihr das Konzept des “Glaubens” für prinzipiell problematisch? Warum?
Wenn ich morgen Weltkaiserin würde, würde ich Religion nicht abschaffen. So.
Ich habe aber an einigen Stellen Problem mit den religösen Institutionen. Siehe Kindesmissbrauch, siehe Stellung zu Verhütung, etc etc.
Spielt das atheistisch-Sein in eurem Alltag eine Rolle? Beeinflusst das euer Handeln? Wann/wo zum Beispiel?
Nein. Nie.
Ich glaube, ich würde monate- oder sogar jahrelang nicht an Gott denken, wenn mich nicht immer mal wieder einer von Euch daran erinnert, dass Ihr an sowas glaubt.
Das Ulkige ist, dass ich Theismus und Atheismus tatsächlich für Kraft und Gegenkraft halte. Mein Atheismus existiert *nur* als Gegenkraft zu Deinem Theismus.
Wenn wir uns unterhalten, und Du Gott nicht erwähnst, bin ich kein Atheist.
Wenn Du en passant erzählst, dass Du Sonntags in der Kirche warst, hat das für mich denselben Informationsgehalt, als wärest Du am Sonntag im Museum gewesen. Dann bin ich kein Atheist.
Wenn wir über privat gelebte Religion reden, dann bin ich gemäßigter Atheist. Genau wie jetzt zum Beispiel 🙂 Dann erzähle ich von einem Leben ohne Götter.
Wenn Du mir zB erzählst, dass in Deutschland wieder mehr gebetet werden muss, dann übst Du eine gewisse religiöse Kraft aus, und ich werde dagegen halten, und Dir was von Trennung von Staat und Kirche erzählen.
Wenn Du mir erzählst, dass ich als Atheist keine Moral haben kann, weil Moral von Gott kommt, dann werde ich genauso unhöflich und erzähle Dir, dass die christliche Moral *in Reinform* aus der Angst vor Bestrafung besteht und auf keinen Fall eine höhere Moral ist als mein Weltbild, das auf dem Respekt für alle Wesen basiert (ist ’n kompliziertes Thema und hier stark verkürzt).
Wenn Du allen Ernstes versuchst, diesen hahnebüchenen Kreationismus-Unsinn an deutsche Schulen zu bringen, musst Du damit rechnen, dass ich Dir ins Gesicht lache.
Mein Atheismus ist also nur eine Reaktion auf eventuelle religöse Übergriffigkeiten meiner Umwelt. Wenn die Religion mich in Ruhe lässt, bin ich kein Atheist, weil ich kein Atheist sein brauche.
Natürlich gibt es auch Atheisten, die das anders handhaben.
Richard Dawkins ist so ein Beispiel. Ich finde seine Betrachungen zB in The God Delusion sehr interessant, aber ich finde, dass seine Schlussforderung – dass Religion immer böse ist und abgeschafft gehört – zu weit geht.
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So, das war ein Einblick in meine gottlose Seele.
Ich hoffe, es hat Dir weitergeholfen. Wenn Du noch Fragen hast, beantworte ich sie gerne.
Liebe Grüße,
Daniela
Ich habe einen ähnlichen Werdegang (auch evangelisch aufgewachsen inkl. Taufe und Konfirmation) und mir gefällt der Bücherregal-Vergleich! So in etwa fühle ich mich auch!
Viele Grüße